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MUSKELKRAFT

Roller und Boards (1)


Neben den oben erwähnten Fahrrad-Rollern mit Pedalantrieb gibt es inzwischen zunehmend auch klassische Modelle, wie sie die meisten Kinder kennen. Bei den Tretrollern (o. Trittrollern) steht man mit einem Bein auf der Trittplatte, während man sich mit dem anderen periodisch vom Boden abstößt – oder aber mit beiden Beinen in Ruheposition bequem hangabwärts rollt.

Alter Kinderroller

Alter Kinderroller

Über die Anfänge ab den 1880er Jahren habe ich bereits weiter oben berichtet. Weiter geht es um 1912, als die ersten Tretroller aus Holz auf den Markt gelangen, die aus nicht mehr als einem Brett, einer beweglichen Gabel und zwei Rädern bestehen. In den 1930er Jahren kommen dann Roller mit Gestellen aus Eisen und Stahl auf, denen in den 1950ern Felgen aus Aluminium, Luftbereifung, ausgereifte Bremsen, Federung, Gepäckträger usw. folgen.

Zudem gibt es diverse erfinderische Varianten wie Tretroller mit Antrieb, die z.B. über eine Wippe auf einer Nabe funktionieren (Wipproller); über ihre exzentrische Bespeichung, wie das oben erwähnte Ingo Bike; mittels Zahnstangenantrieb oder verschiedenen anderen Techniken. Da die meisten dieser Gefährte aufgrund ihres Antriebs nicht als Roller im engeren Sinne gelten, werden sie dementsprechend auch in anderen Kapitelteilen aufgeführt.

Die Argumente, die für den Gebrauch von Rollern sprechen, beginnen mit dem Preis. Aufgrund des Fehlens von Pedalen, Getriebe und einen Antriebsmechanismus sind sie viel billiger als ein Fahrrad. Die einfachere Technik bedeutet natürlich auch weniger Wartungsaufwand und die geringere Wahrscheinlichkeit von Problemen (Verschleiß der Fahrradkette, Zahnräder, die ausfallen, etc.). Durch das Fehlen eines Antriebsmechanismus sind Roller zudem leichter und aufgrund des niedrigen Schwerpunkts auch bei niedriger Geschwindigkeit sehr stabil.


Im Jahr 1987 wird als erste Interssenvertretung die Niederländische Tretrollervereinigung (NAF) gegründet.


1992
entwickelt der Lehrmeister Edmundo Duarte aus einer Idee seiner Lehrlinge in den Sulzer-Lehrwerkstätten in Winterthur, Schweiz, einen klappbaren Mini-Tretroller – der anderen Quellen zufolge dem Banker Wim Ouboter zugeschrieben wird. Dieser ist es 1990 leid, täglich zu Fuß zu seinem Lieblingsimbiß zu laufen, doch für das Auto ist der Imbiß wieder zu nah. Mithilfe von Inline-Skate-Rollen baut er daraufhin in seiner Garage einen einfachen Prototypen, der sich allerdings als zu groß erweist und die Leute amüsiert. Worauf ihn Ouboter so weit verkleinert, bis er in seinem Rucksack Platz hat.

im Jahr 1996 gründet er in Küsnacht die Firma Micro Mobility Systems Ltd. und beauftragt 1998 das taiwanesische Unternehmen J.D. Corporation mit der Produktion seiner Aluminium-Roller, die sich ab 1999 unter dem Namen Microscooter (o. Micro Skate Scooter) sehr erfolgreich verkaufen lassen. Besonders in Japan setzt sich der Roller unter der Bezeichnung Razor schnell unter Jugendlichen durch.

Mit Gründung der Firma Razor USA in Cerritos, Kalifornien, im Jahr 2000 und der Einführung des original Razor-Scooter auf dem dortigen Markt gelingt es dem Unternehmen in nur sechs Monaten fünf Millionen Exemplare zu verkaufen.

Kickboard

Kickboard


Ebenfalls im Jahr 1999 beginnt Micro Mobility Systems zusammen mit der US-Firma K2 Sports eine Dreiräder-Variante mit zwei Vorderrädern zu produzieren, bei welcher die Stabilität während des Fahrens höher ist als bei nur zwei Rädern. Bei dem als Kickboard bekannten Gerät besteht der Lenker aus einem runden Knauf ähnlich dem Schalthebel im Auto, und gelenkt wird durch seitliches Kippen des Knaufs und Gewichtsverlagerung. Für Kinder gibt es die Modelle Mini Micro und Maxi Micro.

In den Jahren 2000 und 2001 wird der Mini-Klapproller zur Modeerscheinung im urbanen Individualverkehr, später ist er jedoch nicht mehr so häufig zu sehen, wofür möglicherweise die Vielzahl an Billigprodukten Schuld ist, welche den Markt überschwemmen und oftmals von sehr schlechter Qualität sind.


Den red dot award des Jahres 2000 gewinnt die Schweizer Firma Wetzer GmbH mit einem vierrädrigen Stickboard, dessen Design auf Philippe Chrétien zurückgeht und das im Grunde aus einem Skateboard mit einem umklappbaren Knauflenker an der Spitze besteht.


In den Folgejahren werden eine ganze Reihe weiterer Entwürfe bekannt, von denen ich einige der interessantesten vorstellen möchte – auch wenn der eine oder andere Roller mehr als nur zwei Räder besitzt oder als Teil seines Namens den Begriff Board trägt, auf den ich weiter unten noch ausführlicher zu sprechen kommen werde.


Die im Sommer 2012 in der Schweiz in Gams gegründete Firma Cycon GmbH beispielsweise entwickelt, produziert in Handarbeit und vertreibt unter dem Namen Circleboard ein völlig neues Design – das äußerst selbstbewußt als „der beste Scooter auf diesem Planeten“ bezeichnet wird.

Schon bei den ersten Skizzen im Sommer 2010 richtet sich das Team aus deutschen Luftfahrt-Ingenieuren an der Kreisform aus, welche der ersten Produkt-Familie, der Cycon 500, ihren vom Lenker bis zum Hinterrad elegant geschwungener Rahmen gibt. Ende 2012 beginnt die Serienproduktion, im Februar 2013 erscheinen die Roller erstmals in den internationalen Blogs, und ab Juni 2014 werden sie unter der Marke Zycomotion weltweit vertrieben. Zeitgleich kommt auch die Mini-Version Zycom C100 in bunten Farben für die ganz Kleinen auf den Markt.

Der große Scooter aus eloxiertem Aluminium ist 102 cm lang, 44 cm breit und 100 cm hoch, sein Gewicht beträgt 6,6 kg und die maximale Belastung 100 kg. Vorne gibt es zwei Reifen mit 20 cm Durchmesser, während das gleich große einzelne Hinterrad mit einer Fußbremse ausgestattet ist. Zum Transport ist das Gefährt faltbar, der Preis beträgt 499,00 € (Stand 2015).

Bowboard

Bowboard


Das Bowboard wiederum fasziniert durch seine äußerst individuelle Antriebsmethode, die darauf beruht, daß der Fahrer die flexible Trittfläche nach unten drückt, worauf ein spezieller, patentierter Mechanismus den Roller vorantreibt, der damit eine Geschwindigkeit von rund 20 km/h erreichen soll.

Der Roller der Firma Bowboard LLC von Christopher Miller aus Clearwater, Florida, der im November 2013 in den Blogs erscheint, ist schon seit mehreren Jahren in der Entwicklung und durch fünf Prototyp-Phasen gegangen. Er verfügt über ein gebogenes Epoxy-Sprungbrett über einem Aluminiumchassis, wobei der spezielle Zahnradmechanismus auf das einzelne große Hinterrad zugreift. An der Vorderseite gibt es zwei übergroße Longboard-Räder nebst dem höhenverstellbaren und umklappbaren Lenker mit Bremshebel. Belastbar sei das Gerät bis zu 77 kg.

Die Begeisterung der potentiellen Kunden gegenüber dem Bowboard hält sich allerdings in Grenzen: Die Crowdfunding-Kampagne auf Kickstarter, um den Roller in die Produktion zu nehmen und für 299 $ zu verkaufen, bei der als Ziel 150.000 $ vorgegeben werden, verläuft enttäuschend: Es kommen von 59 Interessenten nur magere 12.266 $ zusammen, worauf das Ganze erst einmal abgesagt wird.


Noch mehr springen kann man mit dem JumpX der Firma Fuzion Scooter, der erstmals im März 2013 vorgestellt wird – und natürlich ebenfalls im Zuge einer Kickstarter-Kampagne.

Das Gerät, im Grunde eine Kreuzung aus einem Roller und einem Pogo-Stick, besitzt eine einstellbare Spiralfeder innerhalb der Lenkerstange sowie eine Blattfeder an der Rückseite, die es dem Fahrer ermöglichen mit etwas Druck nach unten die Kraft aufzubauen die erforderlich ist, um den Roller in die Luft springen zu lassen. Zudem erlauben die vorderen und hinteren Federn eine glattere Fahrt.

Während das Deck des JumpX aus Flugzeug-Aluminium gefertigt ist, bestehen die Gabel und der Lenker aus Stahl. Über dem Hinterrad gibt es eine Bremse. Das erste Produktionsmodell soll für Fahrer bis 67,6 kg geeignet sein und nur 89 $ kosten, später soll es aber auch noch Modelle für schwerere Fahrer geben.

Obwohl die bescheidene Kampagne mit 22.504 $ von 98 Unterstützern erfolgreich ist, scheint der JumpX im Jahr 2015 nicht mehr im Angebot zu sein.

Space Scooter X580

Space Scooter X580


Ebenfalls im Jahr 2013 kommt der Space Scooter X580 auf den Markt, der als normaler Roller und Wipp-Scooter (o. Wipproller) in einem beworben wird, da er sich durch Hin- und Herwippen auf der Trittfläche fortbewegen läßt. Der Antrieb funktioniert über eine dadurch periodisch gezogene Kette, die wiederum ein Schwungrad antreibt. Damit soll sich leicht eine Geschwindigkeit von mehr als 15 km/h erreichen lassen.

Aufgrund seiner Luftdruck-Stoßdämpfer kann man ihn auch bei schlechteren Straßenverhältnissen schnell und komfortabel fahren, zudem gibt es eine Hinterradbremse mit Handbremshebel. Die Abmessungen des 8 kg schweren Geräts betragen 91 x 33 x 15 cm, und das Umstellen von Roller auf Scooter läßt sich durch Schnellspannverschlüsse mit ein paar Handgriffen und völlig ohne Werkzeug erledigen.

Um nur im Fußtritt-Modus zu fahren, kann die Trittplatte fest eingerastet werden. Durch seine 3-Stufen Höhenverstellung paßt sich der Roller der kanadischen Firma Rockboard an jede Körpergröße an, er hat eine Tragkraft von 90 kg und für den Transport kann man ihn zusammenklappen. Dem Stand von 2015 zufolge wird er in Nordamerika je nach Ausführung zwischen 100 $ und 200 $ verkauft.


Gewinner der International Bicycle Design Competition im November 2014 ist der Entwurf City Scooter von Pei-chih Deng von der Nationalen Universität für Technologie in Taipei, Taiwan.

Das Konzept soll hier modellhaft für eine ganze Reihe ähnlicher Vorschläge stehen, bei denen elektrisch unterstützte Roller in ein Verleih-System eingebunden sind, das eine Alternative zum Fahrradverkehr bieten soll.

Neben dem Einsatz als effizientes, städtisches Transportmittel für Büroangestellte, Einwohner der Gemeinden und/oder Touristen verfügt das Fahrzeug über zwei Arten der Nutzung: Treten, begleitet von Stromerzeugung und -speicherung, die auf einer Prepaid-Guthabenkarte registriert wird, oder sich rollen lassen, wobei die bereits gespeicherte Energie von der Karte wieder abgezogen wird. Eine kleine Besonderheit bilden die nabenlosen Räder. Ob es zu einer Umsetzung kommt, ist bislang nicht bekannt.

E’lution EVO

E’lution EVO


Ebenfalls nabenlose und in diesem Fall auch neu patentierte Reifen weist der Falt-Kickscooter E’lution EVO auf, der im Februar 2014 als aktuelles Kickstarter-Projekt in den Fachblog vorgestellt wird. Die Räder mit 85 mm durchmesseenden Lagern sollen wesentlich robuster und langlebiger sein als die sonst üblichen mit viel kleineren Durchmessern.

Das 6 kg schwere Basismodell der in Sydney beheimateten und schon 1981 gegründeten Firma KWA Design von Kevin Whitley verfügt über eine gebogene Sperrholz-Trittplatte, ein belüftetes Bremssystem, das eine Überhitzung des Bremspedals minimiert, sowie integrierte Kotflügel. Der Preis soll 275 AU-$ betragen. Die leichtere 4,5 kg Deluxe-Version besitzt ein Deck und einen Lenker aus Kohlefaser, schützende Polymerkantenschienen und einen federbelasteten Ständer (399 AU-$). Die für später geplanten Einzelhandelspreise sind 499 AU-$ bzw. 699 AU-$.

Das ausgesprochen hoch angesetzte Finanzierungsziel von 600.000 $ wird allerdings auch nicht annähernd erreicht – und als nur 19.534 AU-$ zusammenkommen, wird das Projekt abgesagt.


Regelrecht genial empfinde ich den im November 2014 publizierten Belt Scooter – die für die ,letzte Meile’ gedachte Diplomarbeit des Designers Ádám Török am Institut für Angewandte Kunst der Universität von West-Ungarn.

Belt Scooter

Belt Scooter

Als Motiv gibt der aus dem ungarischen Sopron stammende Török an, daß Falträder oft zu schwer sind und sich in den Hauptverkehrszeiten auch nicht optimal einsetzen lassen – z.B. im Gedränge der Öffentlichen Verkehrsmittel.

Sein nur 1,7 kg leichter  (andere Quellen: 2,3 kg), zweirädriger und segmentierter Gürtel-Roller wird – wie der Name schon sagt – wie ein Gürtel getragen. Abgenommen und andersherum gestreckt versteift er sich und läßt sich im Prinzip wie ein ganz normaler Kleinroller nutzen.

Die Entwicklung der endgültigen Fassung des aus Furnierholz, Edelstahl, PVC-Schaum und Polystyrol hergestellten Belt Scooters soll zu diesem Zeitpunkt zu etwa 70 % abgeschlossen sein. Als Török gemeinsam mit seinem Team dann allerdings im Januar 2016 eine Fundraisingkampagne auf Indiegogo startet und die weltweite Lieferung bereits für den Mai verspricht, ist die Resonanz enttäuschend: Es kommen statt der erhofften 11.000 € tatsächlich ganze 11 € zusammen – was das Projekt erst einmal ausbremst. Ich wünsche dem innovativen Ansatz trotzdem eine zweite Chance, die dann auch mit mehr Erfolg verbunden ist.


Zwischenzeitlich wird im Jahr 1994 von dem damaligen Studenten Hannu Vierrikko in Finnland – als Sommertrainingsgerät zum Tretschlitten, bei dem er mehrfacher Meister ist – das Kickbike erfunden (in Deutschland aus Urheberrechtsgründen: Finnscoot), das vorne ein deutlich größeres Rad als hinten besitzt.

Dadurch läßt es sich wesentlich einfacher handhaben und auch mit hohen Geschwindigkeiten fahren, sodaß einige Varianten bald darauf für Sportwettbewerbe genutzt werden - obwohl es im Grunde nur eine Neuauflage von Modellen ist, die es bereits in den 1930er Jahren gab.


Zudem wird die Bauweise auch schnell von anderen Herstellern übernommen, unter denen die tschechische Firma Intrea-Piko s.r.o. von Dan Pilát aus Prag einer der bekanntesten ist. Dieser hatte bereits 1998 damit begonnen, die ersten Prototypen zu testen und später zusammen mit dem Designer Jakub Bostl die Modellreihe Yedoo entworfen.

Yedoo Mezeq

Yedoo Mezeq

Neben Laufrädern und Pedal-Bikes für Kinder stellt die Firma ausschließlich Kickbike-ähnliche Tretroller in verschiedenen Größen her, mit traditionellen Fahrrädern für Erwachsene beschäftigt man sich nicht.

Nach gründlicher Aufwertung und Verbesserung von 85% der Bestandteile bildet im Jahr 2015 das neue Yedoo Mezeq das Flaggschiff der Yedoo-Flottille. Der für den Einsatz in der Stadt, im unwegsamen Gelände und auf langen Strecken geeignete Roller wiegt 10,5 kg, ist 148 cm lang und kann mit bis zu 150 kg belastet werden.

Die Tschechische Republik ist überhaupt ein Land der Roller. Nicht nur die beliebten tschechischen Puppen Hurvínek oder Werichs kluge Zdenička (Königin Scooter die Erste), sondern auch der bekannte Schriftsteller Josef Čapek und der ehemalige Präsident Václav Havel waren Rollerfans. Die Yedoo-Roller sind zudem Bestandteil der fantastischen Welt der beliebten Comic-Buch-Reihe Čtyřlístek (Glücksklee), wo sie von allen vier gezeichneten Charakteren verwendet werden. Darüber hinaus gehört das Land zu den weltweit größten Herstellern von Rollern für Erwachsene.


Ein Pionier seit Anfang der 1990er Jahre ist auch die Firma Blauwerk aus Wien, die mit ihrem Sidewalker Kickbike berühmt wird. Mit dem Modell Sidewalker Downhill überqueren im Oktober 1996 Joachim Franz und sein Team den Ural in Russland, wobei sie in zehn Tagen auf Schnee-, Kies- und Asphaltstraßen eine Strecke von 1.552 km zurücklegen. Die Firma bietet heute Modelle für alle Altersstufen ab drei Jahren an.


Das erste deutsche Tretrollerennen wird 1995 (o. 1997 ?) in Wolfsburg abgehalten, und 1998 einigt sich die Szene auf die Bezeichnung International Kicksled & Scooter Association (IKSA) als Name für die weltweite Dachorganisation des Tretrollersports. Seit 2001 gibt es mit dem Eurocup jährliche europäische Wettkämpfe, und im Jahr 2004 findet in der Tschechischen Republik erstmals eine Weltmeisterschaft statt.

Als bisheriger Höhepunkt mit ca. 300 Teilnehmern aus aller Welt gilt die Tretroller-WM im Juli 2012 in St. Wendel, Deutschland, bei der u.a. von Peter Groeneveld auf einer 400 m Laufbahn der aktuelle 24-Stunden-Weltrekord gefahren wird (545 km).

 

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