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MICRO ENERGY HARVESTING


Flüssigkeiten (I)


Die Idee, biologische Brennstoffzellen mittels Glukose und Sauerstoff zu betreiben, die in physiologischen Fluiden gefunden werden, wird bereits in den 1970er Jahren vorgeschlagen, bleibt aber bald auf der Strecke, da die von den frühen Prototypen erzeugte Energiemenge zu gering ist, als daß sie von praktischem Nutzen wäre.

Erst im Jahr 1999 spornen Fortschritte in der Biotechnologie Prof. Itamar Willner von der Hebräischen Universität in Jerusalem dazu an, die Idee wieder aus der Versenkung zu holen. Bis zu den ersten praktischen Umsetzungen vergehen dann aber noch einige Jahre.

Welches Potential in dem Ansatz steckt, kann ein Vergleich erhellen: Die Energiedichte von Lithium-Batterien beispielsweise hat sich in den letzten Jahrzehnten stark verbessert, aber die chemische Reaktion, auf der diese beruhen, wird trotzdem nie der Energie entsprechen können, die bei der Verstoffwechselung von Glukose zur Verfügung steht. Immerhin entspricht die chemische Energie in einem Gramm Glukose fast der Hälfte der Energie, die in der gleichen Menge Benzin steckt, einem bekanntermaßen sehr energiereichen Brennstoff.


Im November 2007 beschreiben die Chemiker Yutaka Amao und Yumi Takeuchi von der Oita University in Dannoharu, Japan, in einer internationalen Veröffentlichung die erfolgreiche Herstellung einer Glukose-betriebenen Brennstoffzelle, die mittels Sonnenlicht Glukose in Wasserstoff umwandelt, der die Zelle mit Energie versorgt, und die bereits mehrere hundert Millivolt erzeugt. An der Entwicklung wird bereits seit über fünf Jahren gearbeitet, wobei die beiden Forscher zuvor eine ähnliche Technik entwickelt hatten, die auf Maltose (Malzzucker) als Ausgangsstoff beruhte.

Die Nutzung biologischer Ressourcen, wie zum Beispiel Lebensmittelabfälle und angebaute Hochenergiepflanzen, gilt zunehmend als Weg, um die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen zu reduzieren. Die grundlegenden Biomasseressourcen umfassen Stärke, Cellulose, Saccharose und Lactose. Statt sie zu verbrennen, können diese komplexen Zuckermoleküle mit wenig Energieaufwand durch Fermentationsprozesse in das viel einfachere Glukose-Molekül überführt werden, das dann verwendet wird, um mittels Enzymen Wasserstoff freizusetzen – wobei die im vorangegangenen Kapitelteil ausführlich behandelte mikrobielle Brennstoffzelle (MFC) ins Spiel kommt.

Das neue Gerät aus Japan besteht aus einer transparenten leitfähigen Glaselektrode, die mit einem stark gefärbten Molekül beschichtet ist, das in lichtabsorbierendes Titandioxid eingebettet den natürlichen Prozeß der Photosynthese nachahmen kann. Die Beschichtung kann Energie aus dem Sonnenlicht absorbieren und in einer anderen chemischen Schicht auf der Elektrode wieder freisetzen, die mit einer Platinelektrode verbunden ist. Um die Schaltung zu vervollständigen, ist das Paar in eine Glukoselösung eingetaucht.

Sobald Licht auf die lichtaktive Elektrode fällt, werden die Enzyme in der chemischen Schicht angeregt, mit Glukosemolekülen in der Lösung zu reagieren und Wasserstoffionen freizusetzen, die ihrerseits Elektronen von der Platinelektrode anziehen und damit einen Strom durch den Draht fließen lassen, der die Elektroden verbindet.

Wie aus einer weiteren Veröffentlichung im April 2012 hervorgeht, beschäftigt sich Amao später zunehmend mit Solarkraftstoffen, wie z.B. Wasserstoffgas aus Wasser und Methanol, das durch eine Kohlendioxid-Reduktion mittels künstlicher Photosynthese erzeugt wird (s.d.).


Im April 2009 folgt die Meldung, daß eine Gruppe an der University of British Columbia in Vancouver, Kanada, winzige MFCs geschaffen hat, indem sie Hefezellen in einer flexiblen Kapsel eingebettet hat, die 15 mm2 groß und 1,4 mm dick ist. Gefüttert werden diese Zellen mit Glukose aus dem Blut des Menschen.

Die Wissenschaftler um Mu Chiao und Chin-Pang-Billy Siu betrachten ihre MFC als besonders nützlich für Geräte wie Herzschrittmacher oder intraspinale Mikroelektroden zur Behandlung von Lähmungen, da diese oftmals an Stellen eingepflanzt werden müssen, die einen Batteriewechsel äußerst kompliziert machen.

Die neue MFC besteht aus einer Kolonie von Saccharomyces cerevisiae – jene Art von Hefe, die in der Brau- und Backbranche am häufigsten verwendet wird –, welche in einer Brennstoffzelle eingekapselt ist, die aus einer Form von Silikon namens Polydimethylsiloxan (PDMS) hergestellt ist. Weshalb die MFC auch unter dem Namen Microfabricated PDMS Microbial Fuel Cell läuft.

Mikrosäulen

Mikrosäulen

Als Elektronenvermittler wird Methyl blue verwendet, eine chemische Substanz, die oft genutzt wird, um biologische Proben zu färben. Diese stiehlt einige der Elektronen, die erzeugt werden wenn die Hefe Glukose verarbeitet, und liefert sie an die Anodenseite der Zelle, um damit einen kleinen Strom zu schaffen. Auf der Kathodenseite verbinden sich Wasserstoffionen, die aus den Hefezellen heraus diffundieren, mit dem Sauerstoff, um Wasser zu erzeugen.

Um die Oberfläche der Elektroden zu erhöhen und um damit die Leistung der MFC zu steigern, verwendet das Team eine Silizium-Ätztechnik, mit der Mikrosäulen (micropillars) geschaffen werden, die etwa 40 µm breit und 8 µm hoch sind. Damit produziert die Hefe-basierte MFC 40 nW Leistung, was für einige Geräte genügen würde, wenn die Brennstoffzelle mit einem Kondensator gekoppelt wird, um die Energie zu speichern. Zudem könnte die Hefe gentechnisch verändert werden, um ihre Leistung zu steigern. Eine wesentliche Herausforderung ist auf jeden Fall, die Hefezellen gesund zu halten, indem ihre Abfallprodukte entfernt werden, ohne daß dabei schädliche Stoffe in den Blutstrom gelangen.


Wie im Mai 2010 berichtet wird, ist die erste mit Glukose funktionierende MFC, die in ein lebendes Tier – in diesem Fall eine Ratte – implantiert wird, an der Université Joseph Fourier in Grenoble, Frankreich, entwickelt worden. Das Forscherteam um Serge Cosnier und Philippe Cinquin hat bei bei seiner Arbeit das Ziel, implantierbare medizinische Geräte direkt mit elektrischer Leistung aus der Körperflüssigkeit zu betreiben.

Die winzigen Geräte von der Größe eines Reiskorns bestehen aus Enzymen innerhalb von Graphitscheiben, die in Dialysebeutel gepackt in die Bauchhöhlen von zwei Ratten implantiert werden. Glukose und Sauerstoff, die im Körper natürlich auftreten, fließen in das Gerät, wo die an Ort und Stelle bleibenden Enzyme die Oxidation der Glukose katalysieren, um elektrische Energie zu erzeugen.

Implantat-MFC

Implantat-MFC

Die Ergebnisse sind vielversprechend, da die MFCs einen Output von 6,5 µW erzielen, was nicht sehr viel kleiner als die 10 µW ist, die für einen Herzschrittmacher erforderlich sind. Bei einer der Ratten (,Ricky’) werden über elf Tage 2 µW gemessen, während bei der anderen Ratte drei Monate lang Glukose im Urin nachgewiesen wird, was bedeutet, daß das Gerät mindestens für diese Zeit funktionierte – und dies ohne erkennbare Nebenwirkungen auf das Verhalten oder die Physiologie der Tiere. Zumindest theoretisch könnte eine derartige MFCs auf unbestimmte Zeit arbeiten.

Sollte es dem Forschungsteam nun gelingen, die Effizienz weiter zu verbessern, könnten diese MFCs verwendet werden um alle möglichen Geräte mit Energie zu versorgen, angefangen von Insulinpumpen und Vorrichtungen zur Arzneimittelabgabe bis hin zu Biosensoren und Knochenwachstum-Stimulatoren.

Im Oktober 2011 werden weitere Details veröffentlicht. So entstehen die Elektroden durch das Komprimieren einer Paste aus Kohlenstoff-Nanoröhrchen, wobei die Paste für die eine Elektrode mit Glukose-Oxidase, für die andere mit Glukose und Polyphenoloxidase gemischt wird. Um den Strom zu der Schaltung zu führen, besitzen die Elektroden einen eingesetzten Platindraht. Zudem werden sie mit einem speziellen Material umwickelt, das alle Nanoröhrchen oder Enzyme daran hindert, in den Körper zu entweichen. Schließlich wird das gesamte zu implantierende Paket in ein Netz eingewickelt, welches die Elektroden vor dem körpereigenen Immunsystem schützt, ohne dabei aber den freien Fluß von Glukose und Sauerstoff zu den Elektroden zu behindern.

Da Ratten zu klein sind, als daß ihre Erzeugung von Energie ausreichen würde, herkömmliche Vorrichtungen mit Strom zu versorgen, plant Cosnier seine Brennstoffzelle zu vergrößern und in eine Kuh zu implantieren. Der Wissenschaftler hofft, daß die dabei erzeugte Energie genügt, um einen Sender zu betreiben, der aus der Kuh heraus Informationen über das Gerät und die Kontrollsensoren innerhalb des Tieres sendet.

Im März 2012 wird bekannt, daß das Team von Cinquain zwischenzeitlich eine Firma gegründet hat, um künstliche Harnschließmuskeln zu entwickeln, die 300 500 µW Leistung benötigen und daher mit Glukose aus dem Körper betrieben werden können. Im Gegensatz zu den Batterien, die für solche Anwendungen natürlich bereits existieren, könnten kleinere Bio-Brennstoffzellen, zumindest in der Theorie, die bequemere und langlebigere Alternative sein.

In einem im März 2013 publizierten Artikel beschreiben Cosnier, Cinquin et al. die ihnen zufolge erste implantierte Glukose-Bio-Brennstoffzelle (Glucose Biofuel Cell, GBFC), die aus den Körperflüssigkeiten eines Säugetiers ausreichend Leistung erzeugt, um als alleinige Energiequelle für elektronische Geräte zu dienen.

Die wiederum in der Bauchhöhle einer Ratte implantierte GBFC basiert auf Kohlenstoff-Nanoröhrchen und Enzymelektroden und erzeugt eine durchschnittliche Leerlaufspannung von 0,57 V und liefert eine Leistung von 38,7 µW, was einer Stromdichte von 193,5 µW/cm2 entspricht. Schon mit einer einzigen Zelle lassen sich eine LED oder ein digitales Thermometer betreiben. Darüber hinaus werden auch 110 Tage nach der Implantation keine Anzeichen einer Abstoßung oder Entzündung beobachtet.

Nanobiokraftstoffzelle Funktionsgrafik

Nanobiokraftstoffzelle
(Funktionsgrafik)


Daß auch ein Team der Tsinghua Universität in Peking um Jing Zhu, gemeinsam mit Kollegen des Georgia Institute of Technology in den USA, eine Miniatur-Brennstoffzelle entwickelt hat, die ihren Strom aus biologischen Flüssigkeiten produziert, geht im Oktober 2010 durch die Presse.

Die Forscher bauen ihre MFC auf, indem sie die zwei Redox-Enzyme Glukose-Oxidase und Laccase als Katalysator miteinander koppeln, und zwar über einen Kohlenstoff-Nanodraht mit einem Durchmesser von 200 – 800 nm, der einzelne Protonen leiten kann und dessen Enden jeweils auf einer Goldelektrode sitzen. Dabei basiert die Nanobiokraftstoffzelle des internationalen Teams auf einem elektrochemischen Prozeß, der Glukose zu Gluconolacton umwandelt, wobei als Ergebnis der jeweiligen chemischen Reaktion an den beiden Elektroden ein Nettostrom durch die chemische Potentialdifferenz zwischen der Anode und der Kathode erzeugt wird.

Die MFC, die als Nanowire-based Biofuel Cell (NBFC) bezeichnet wird, kann Strom ebenso aus menschlichem Blut wie aus dem Saft einer Wassermelone erzeugen, wobei Ausgangsleistung bei 0,5 - 3 µW liegen soll. Integriert in einen Satz Nanodraht-basierter Sensoren zur Durchführung von Messungen mit eigener Stromversorgung, könnte die NBFC zur Entwicklung selbstbetriebener Nanomaschinen für die Umweltüberwachung, die Biowissenschaften, die persönliche Elektronik und die Wehrtechnik führen.


Im Juni 2012 melden die Fachblogs, daß ein Team von Ingenieuren des MIT um Prof. Rahul Sarpeshkar eine neue Glukose-Brennstoffzelle entwickelt hat, die von dem gleichen Zucker betrieben wird wie der menschliche Körper. Das Team glaubt, daß das in einem Silizium-Chip integrierte Gerät in der Lage sein wird, hocheffiziente Gehirnimplantate zu betreiben, die es Querschnittsgelähmten ermöglichen, wieder Kontrolle über ihre Gliedmaßen zu erlangen.

Um ihren elektrischen Strom zu erzeugen, entfernt die aus Silizium und einem Platin-Katalysator hergestellte MFC, die keinerlei biologischen Komponenten enthält, Elektronen aus Glukosemolekülen. Den dafür benötigten Zucker  bezieht sie komplett aus der Gehirn-Rückenmark-Flüssigkeit, dem sogenannten Liquor (o. Gehirnwasser), welcher das Gehirn umgibt.

Da der Liquor nur sehr wenige Zellen enthält, ist es unwahrscheinlich, daß die MFC eine Immunreaktion hervorruft, und da letztere nur eine kleine Menge an Glukose verwenden wird, würden die Auswirkungen auf das Gehirn ebenfalls klein sein. Die in Zusammenarbeit mit Jakub Kedzierski vom Lincoln Laboratory des MIT hergestellte MFC kann bereits einige hundert Mikrowatt erzeugen. Bis derartige implantierbare Systeme zum Standard der medizinischen Versorgung gehören, werden dem Team zufolge aber noch einige Jahre vergehen.


Daß auch der menschliche Urin ein wertvolle Rohstoff ist, war schon im alten Rom bekannt, wo er in öffentlichen Amphoren gesammelt und von Kaiser Vespasian sogar mit einer Steuer belegt wurde, worauf jeder Bürger Roms eine ,Latrinensteuer’ zu zahlen hatte, wenn er auf’s Klo mußte. Waschsalons nutzten den gesammelten Urin - und insbesondere den ,gefaulten’, aus dem sich alkalisches Ammoniak bildet - für strahlend weiße Wäsche, während Gerber ihn zur Behandlung von Häuten gebrauchen.

Und wenn die Geschichte stimmt, stammt der auch noch heute verwendete Ausdruck „Geld stinkt nicht“ aus eben jener Zeit, denn als Vespasians Sohn Vorbehalte gegenüber der neuen Steuer zeigte, nahm der Kaiser das Geld, das durch den Toilettengang anderer Leute eingenommen worden war, hielt es seinem Sohn unter die Nase und fragte ihn, ob das Geld stinke – woraus die berühmten lateinischen Worte entstanden: pecunia non olet.


Heute gibt es indes ein weiteres Einsatzgebiet für den Urin – nämlich die Stromerzeugung. So entwickeln Forscher der University of the West of England (UWE) um Prof. Ioannis Ieropoulos (der uns weiter oben bereits bei den EcoBots begegnet ist) und der University of Bristol, die gemeinsam das Bristol Robotics Laboratory betreiben (dessen Direktor Ieropoulos ist), mikrobielle Brennstoffzellen, die den Urin zu Strom verwandeln. Der natürliche Stoff enthält Harnstoff, Kalium, Bilirubin, Chloride und ist zudem reich an Stickstoff, weshalb er sich auch so gut für MFCs eignet.

Nachdem das Projekt Mitte 2010 vom EPSRC Career Acceleration Fellowship Grant mit einem Zuschuß in Höhe von 564.561 £ für die nächsten vier Jahre bedacht wird, arbeiten die Ingenieure des Bristol Robotics Lab nun an dem Prototypen für ein tragbares Urinal zur Energieerzeugung, das bei Musikfestivals oder anderen Freiluftveranstaltungen eingesetzt werden könnte. Kooperiert wird dabei mit dem Schweizer Hersteller URIMAT, der für seine wasserlosen Urinale bekannt ist.

Ein weiterer Aspekt des Pee Power genannten Projekts ist, die Kathodenseite der MFC durch die Verwendung von Sauerstoff-produzierenden Organismen (wie Algen) anstelle von Chemikalien so zu optimieren, daß die ganze Zelle zu einem sich selbst erhaltenden System wird, das mit den eigenen Abfällen Energie produziert. So können die Abfälle der Algen – zum Beispiel – verwendet werden, um die Bakterien der Anodenseite zu ernähren. Da die Energiemenge der Urin-Brennstoffzelle allerdings noch relativ gering ist – sie bewegt sich im Milliwattbereich – arbeitet das Forscherteam an mehreren übereinander gestapelten Einheiten, um den Output deutlich zu erhöhen.

Im Juli 2013 wird berichtet, daß es den Forschern nun gelungen sei, mit ihrer MFC ein Handy (teilweise) aufzuladen – und im Februar 2015, daß das Projekt nun auch endlich in den Praxistest geht: Gemeinsam mit der Hilfsorganisation Oxfam wird auf dem Campus der Universität neben einer Studenten-Bar bis zum Mai ein Urinal aufgestellt, wie es üblicherweise auch in provisorischen Unterkünften zu finden ist. Bei jedem Toilettengang entsteht Energie, die zur Beleuchtung dient, wobei die Benutzer durch eine transparente Platte beobachten können, wie ihr Urin den Strom erzeugt, der die vier LEDs in der Kabine versorgt.

Die Experten glauben, daß die Technik aufgrund der geringen Kosten von etwa 600 £ pro Strom-Klo (wobei die Kosten der einzelnen MFC mit nur rund 1 £ angegeben werden) ein großes Potential für den Einsatz in Entwicklungsländern hat – insbesondere unter dem Aspekt, daß die gewonnene Energie zur Beleuchtung genutzt wird und sich damit beispielsweise die Sicherheit in Flüchtlings-Camps erhöhen ließe. Im Juni 2015 wird das Elektro-Urinal zudem auf dem Glastonbury Festival in Pilton installiert.

Notsender-MFC

Notsender-MFC

Daß Forscher der UWE um Jonathan Winfield nun auch noch einen faltbaren und tragbaren Notsender auf Papierbasis geschaffen haben, der mit einer urinbetriebenen MFC arbeitet, wird bereits im Februar 2015 bekannt. Die Idee dahinter: Ist jemand in der Lage, das Gerät mit seinem Urin zu aktivieren, belegt er damit, daß er am Leben ist – worauf Rettungsmaßnahmen ausgelöst werden können.

Da die Verwendung von MFCs noch immer durch die Kosten ihrer Komponenten und die Toxizität der Reste begrenzt wird, sobald die Einheiten das Ende ihrer Lebensdauer erreicht haben, besteht die Priorität des Teams darin, kleinere, leichtere und billigere MFCs als bisher zu konstruieren, die auch als Einwegprodukte sicher sind.

Um ihre neuen Prototyp zu bauen, verwenden die Forscher daher recycelte, gewöhnliche Materialien – sowie ein Origami-inspiriertes Design im Stil einer dreieckigen Pyramide aus Papier, das zur Außenabdichtung mit drei Schichten Latex imprägniert ist. Diese äußere Schicht dient als Kathode, während die innere Schicht die Protonen-Austauschmembran und den Reaktorkörper bildet und als Anode fungiert.

Diese ist mit ruhenden Biofilmen aus stromerzeugenden Bakterien beschichtet, die rasch zum Leben erwachen, wenn sie mit Urin übergossen werden. Dabei ist der dünne Film aus winzigen Bio-Generatoren auf der Oberfläche der Anode in der Lage, über längere Zeiträume ausgetrocknet und kühl zu überleben, was die Anordnung ideal für den Einsatz in selten aktivierten Notfall-Funksendern macht. Im Moment lassen sich die Bioreaktoren für bis zu acht Wochen lagern.

Während das Gerät mit frischem Morgenurin besonders effizient arbeitet, soll es aber ebenso in der Lage sein, mit dem Urin von Vieh Strom zu produzieren. Nach der Aktivierung stellt die MFC genug Energie bereit, um einen Funksender 35 Minuten lang zu betreiben, während zwei in Reihe geschaltete MFCs Funksignale in etwa sechs-Minuten-Intervallen bis zu 24 Stunden lang übermitteln können, was in einer lebensbedrohlichen Situation möglicherweise  den entscheidenden Unterschied macht.

MFC-Socken

MFC-Socken

Im Rahmen künftiger Fortschritte sind flach verpackte, ineinandergreifende Stapel angedacht,  die leicht transportiert werden können, wobei eine breite Palette von Materialien einschließlich Naturkautschuk, Biokunststoffen, Gelatine und auch Eier verwendet werden soll. Die komplette Beschreibung der bisherigen Arbeit ist unter dem Titel ,Urine-activated origami microbial fuel cells to signal proof of life’ im Netz einsehbar.

Ende 2015 folgt die Meldung, daß das Forscherteam inzwischen mit energieerzeugenden Socken experimentiert, die winzige mit Urin betriebene MFCs enthalten. Im Laborexperiment erzeugt das System genügend Strom, damit ein integrierter Transmitter alle zwei Minuten die Nachricht ,World’s First Wearable MFC’ an einen Rechner senden kann. Die Socken enthalten eine kleine Handpumpe unter den Fersen, die von den Schritten des Trägers aktiviert wird und rund 635 g Urin durch integrierte flexible Silikonschläuche zu den Brennstoffzellen in der Nähe der Knöchel zirkulieren läßt.

Ieropoulos glaubt, daß ein derartiges tragbares Kraftwerk in bestehende Kleidung oder Monturen integriert werden könnte, die bereits ausgestattet sind, Urin zu sammeln, wie bestimmte militärische, Raumfahrt- oder technische Outdoor-Ausrüstungen.

Im Juli 2016 wird bekannt, daß das Team zwischenzeitlich an der Entwicklung von Klinkern mit eingebauten mikrobiologischen Brennstoffzellen arbeiten, durch deren Einsatz Hauswände zukünftig Strom, frische Luft und sauberes Wasser liefern könnten. Der Input würde aus Sonnenlicht, Kohlendioxid, Algen, Bakterien und Grauwasser bestehen – der Output aus Trinkwasser, Sauerstoff, Elektrizität, Wärme, Biofluoreszenz und Biomasse. Das Projekt nennt sich Living Architecture (LIAR) und hat vor allem die globale Nachhaltigkeit im Blick.

Im August 2016 wird die Strom-Toilette der UWE erstmals im Programm Wissen vor acht – Zukunft der ARD vorgestellt, in einem gut zweiminütigen Bericht ohne Tiefe. Vielleicht hat die Fernsehanstalt inzwischen das arabische Sprichwort verinnerlicht: ‚Der Esel lernt nur durch Wiederholung’ – denn der exakt gleiche Bericht wird im März 2020 und nochmals im Juni 2023 gesendet, als ‚aktuelle Neuigkeit‘ und ohne irgend etwas von den weiteren Schritten zu erwähnen. Dazu gehört beispielsweise, daß die patentierte Pee Power Technologie inzwischen auch in Schulen in Uganda und Kenia eingeführt wurde.

Im Juli 2018 erscheint die im Netz einsehbare Veröffentlichung ‚PEE POWER urinal II – Urinal scale-up with microbial fuel cell scale-down for improved lighting‘ mit dem zwischenzeitlich erreichten Stand, der mit maximal 600 mW rund 30 % mehr Energie liefert als das Vorgängermodell. Nun soll die Technologie kommerziell vermarktet und in netzfernen Gebieten in Entwicklungsländern eingeführt werden.

Etwa ein Jahr später, im Juni 2019, wird eine Pee Power Anlage für 40 Personen bereits zum vierten Mal auf dem Glastonbury Festival aufgestellt. Die erzeugte Energie betreibt nachts die Beleuchtung im Pissoir-Block, während die Festivalbesucher im Rahmen der neuen Funktion ‚Pee to Play‘ zudem Retro-Spiele auf Game Boys spielen können, die durch das System mit Strom versorgt werden.


Im Jahr 2023 schafft es eine Pee Power-Anlage sogar nach Deutschland – und zwar auf dem Gelände der Mitte April startenden Bundesgartenschau 2023 in Mannheim. Die als ‚wissenschaftlicher Großversuch‘ deklarierte Installation wird mit 300.000 € vom Umweltministerium Baden-Württemberg unterstützt.

Besonders interessant: Es wird behauptet, daß die innovative Anlage vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT) in Zusammenarbeit mit der Universität Hamburg im Laufe von fünf Jahren entwickelt wurde. Falls das stimmt, und die Namensgleichheit nur auf einem Zufall beruht, sollten die Initiatoren einen anderen Namen wählen – und auch darlegen, daß die gleiche Technologie bereits seit 2010 im Umlauf ist, wie oben dokumentiert.


Ähnliche Entwicklungen beschreibe ich ausführlich im Kapitel Energiespeichern unter Urin-, Bio- und Wasserbatterien (s.d.) - wobei es auch einige Überlappungen mit dem hier vorgelegten Material gibt.


Ieropoulos ist auch nicht der einzige, der sich mit Urin beschäftigt. Über die bei den Batterien behandelten Systeme hinaus sind beispielsweise Forscher der Heriot-Watt University im schottischen Edinburgh um Shanwen Tao und Rong Lan zu erwähnen, die ebenfalls im Jahr 2010 den billigen Prototyp einer MFC vorstellen, der speziell dafür entwickelt wurde, um aus der organischen Verbindung Harnstoff Strom und sauberes Wasser zu erzeugen.

Nach Taos Berechnungen produziert ein Erwachsener pro Jahr genug Harnstoff, um ein Auto rund 2.700 km weit fahren zu lassen. Bei seinem Youtricity Team (das inzwischen anscheinend wieder aufgelöst ist) wird die weitere Optimierung des Carbamide Power Systems (Carbamide ist ein anderes Wort für Harnstoff) durch einen EPSRC-Zuschuß in Höhe von 130.000 £ gefördert.

UNESCOSat Grafik

UNESCOSat
(Grafik)


Im November 2010 wird gemeldet, daß der erste Satellit der Vereinten Nationen, das 5 Mio. $ teure Projekt UNESCOSat, ein klares Ziel hat: herauszufinden, ob sich die Fäkalien von Astronauten als wirksame Kraftstoffquelle im Raum verwenden lassen. Starten soll der 100 kg schwere Satellit im ersten Halbjahr 2011 mit einer russischen Trägerrakete, seine Lebensdauer wird mit fünf Jahren angegeben.

Unter einer Reihe von Experimenten, die von Studenten gestaltet wurden, steht auf dem Programm des Florida Institute of Technology die Durchführung von Versuchen mit einer Nutzlast, deren Testbereich Magnetpumpen und Mischbehälter umfaßt, die bis zum Rand mit anaeroben Bakterien gefüllt sind, die keinen Sauerstoff für ihr Wachstum benötigen.

Die fraglichen Bakterien vom Stamm Shewanella MR-1 können menschliche Fäkalien in Wasserstoff abbauen, welcher wiederum als Energiequelle für Brennstoffzellen im Raumschiff dienen könnte. Die Studenten aus Florida wollen nun herausfinden, wie gut die Bakterien in der Mikroschwerkraft im Orbit funktionieren und wie sich die unterschiedlichen Temperaturen, Drücke und Dichten auf ihren Lebenszyklus auswirken.

Überraschenderweise sind außer den frühen Ankündigungen keinerlei weiteren Informationen über das Projekt zu finden – sodaß die Annahme berechtigt ist, daß es irgendwann einmal still und heimlich wieder in der Schublade verschwunden ist.

 

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