werkzeugTEIL B

ZIELBILDUNG


Zum gegenwärtigen Zeitpunkt richte ich den Zielfindungsprozeß an qualitativen Kriterien aus, während die Quantität trotz ihrer prinzipiellen Wichtigkeit vorerst nur an zweiter Stelle behandelt wird.

Die Charakterisierung eines Problems suggeriert oftmals die Richtungsaussage, Ziele von Entscheidungen würden gleichsam ‚natürlich’ von der Spitze zur Basis der Zielhierarchie entwickelt. Die Literatur warnt indessen vor dieser Einseitigkeit und zeigt für die Entwicklung der Zielhierarchie verschiedene Wege auf:  (13)

Zieldetaillierung:

Systematische Ableitung der Zielhierarchie von oben nach unten


Zielsuche:

Kreative Aufrichtung der Zielhierarchie von unten nach oben


Zielheuristik:

Kombination von Zieldetaillierung und Zielsuche in einem iterativen und rekursiven Prozeß       


Angesichts eines komplexen Entscheidungsproblems zeigt sich, daß der Zielbildungsprozeß durch das Konzept des heuristischen Problemlösungsverhaltens am zutreffendsten erfaßt werden kann. Ich persönlich bevorzuge dabei, den systematischen Vorgang der Zieldetaillierung mit dem kreativen Vorgang der Zielsuche dadurch zu verbinden, daß ich neu hinzugekommene Zielvarianten laufend in einem regelkreisähnlichen Denkvorgang mit den zuvor erarbeiteten Zielvarianten vergleiche – und dies unabhängig davon, ob ich durch Zieldetaillierung oder durch Zielsuche auf die jeweils im Vergleich betrachteten Ziel-Elemente gestoßen bin.

Die folgenden Hypothesen fassen die Entwicklungsrichtungen der drei oben genannten Wege zusammen:

Zieldetaillierungs-Hypothese:

Wenn die Zielsetzung der Entscheidung in einem arbeitsaufwendigen und zeitverbrauchenden Prozeß zu entwickeln ist, dann richten sich die zielsetzenden Aktivitäten der Entscheidungsträger zunächst auf hierarchisch hochrangige und sodann auf hierarchisch niedrige Ziele.


Zielsuch-Hypothese:

Wenn die Zielsetzung der Entscheidung in einem arbeitsaufwendigen und zeitverbrauchenden Prozeß zu entwickeln ist, dann richten sich die zielsetzenden Aktivitäten der Entscheidungsträger zunächst auf evidente und sodann auf latente Ziel-Elemente.


Zielheuristik-Hypothese:

Wenn die Zielsetzung der Entscheidung in einem arbeitsaufwendigen und zeitverbrauchenden Prozeß zu entwickeln ist, dann richten sich die zielsetzenden Aktivitäten der Entscheidungsträger auf ein gleichbleibendes Verhältnis hierarchisch hochrangiger bzw. latenter zu hierarchisch niedrigen bzw. evidenten Ziel-Elementen in jedem Zeitabschnitt des Zielbildungsprozesses.


Ohne jetzt weiter auf die Zieldetaillierung oder die Zielsuche einzugehen, möchte ich zur Zielheuristik noch folgendes anmerken: Mit dem Begriff ‚heuristische Lösungsverfahren’ werden im allgemeinen jene Techniken bezeichnet, deren sich die Entscheidungsträger bedienen sollten, wenn es – wie z.B. bei der vorliegenden Arbeit – darum geht, ein bisher unbekanntes Problem zu lösen.

Diese Verfahren greifen das tatsächliche Problemlösungsverhalten des Menschen auf, perfektionieren es und bauen es zu systematischen Konzepten einer bewußten und effektiven Gestaltung um. Die heuristischen Problemlösungsmuster akzeptieren die Einsicht, daß die menschliche Fähigkeit, Probleme zu erkennen, zu durchschauen und zu lösen, begrenzt ist. Gerade diese Einsicht wird aber als Herausforderung begriffen, um Techniken vorzuschlagen, die den Entscheidungsträger nicht durch einen unrealisierbaren Rationalitätsanspruch abschrecken, sondern ihn bei bewußter Akzeptanz seiner Schwächen trotzdem zu einer Problemlösung gelangen lassen.

Das ferne Ziel hatten wir ja bereits vage erkannt: Da die so vorteilhaft und umweltfreundlich umwandelbare potentielle Energie des Wassers in direkter Relation zur Menge und zur Höhe dieser Menge über dem Wasserspiegel steht, gilt es offensichtlich ein System zu finden, das die Ausnutzung eines ‚konzentrierten’ und technisch simulierten Wasserkreislaufs auf technischer Ebene ermöglicht.

Im allgemeinen benötigt der Transport von Wasser große Mengen an Energie. Dieser Verbrauch findet seinen Extremwert im Hochtransport, d.h. beim Überwinden von Höhenunterschieden.

Der Grund für den extremen Energieaufwand konventioneller Pumpmethoden liegt in ihrer Ineffektivität, da sich bei diesen Methoden alle Naturkräfte wie Gravitation, Luftdruck, Reibung, Dissapation usw. kontraproduktiv auf den Pumpvorgang auswirken. Sie stehen dort in einer Art gegensätzlicher, negativer Beziehung zur Zielvorstellung des Wassertransports im allgemeinen, und des Wasserhochtransports im besonderen. Die heutige Technik vergeudet einen sehr hohen Prozentsatz der Energie, die in den Pumpvorgang investiert wird, ausschließlich zur ‚Überwindung’ dieser Kräfte, statt daß sie diese Kräfte (der Natur) im gewünschten Sinne ausrichtet und zusätzlich nutzt.

Zu den genannten Punkten muß noch hinzugefügt werden, daß die derzeit genutzten Systeme außerdem zumeist fossile Primärenergieträger nutzen, sofern es sich nicht um elektrische Tauchpumpen o.ä. handelt. Letztere wurden erst in jüngster Zeit an einen Betrieb mittels Sonnenenergie angepaßt (14). Doch auch diese Systeme sind ihrer Konzeption nach auf das Hervorpumpen von Wasser aus unterirdischen Reservoirs auf die Erdoberfläche beschränkt.

Das Ziel einer Nutzung der potentiellen Energie von Wasser kann jedoch erst dann erreicht werden, wenn sich das zu nutzende Wasser auf einem signifikant höheren Niveau als das originale Oberflächenwasser befindet.

Problemdefinition

 

„Erst eine präzise Definition und Eingrenzung des Problems ermöglicht es, auch das richtige Problem effektiv zu bearbeiten.“ (15)


Die Problematik der energetischen Nutzwassergewinnung liegt also in der Fragestellung, wie das Wasser mittels selbsterneuernder Primärenergieträger auf eine Ebene höherer potentieller Energie hinaufbefördert werden kann – zur anschließenden Ausnutzung der Gravitationswirkung in Form von hinabstürzendem Wasser, das sehr leicht in konventionellen hydroelektrischen Anlagen nutzbar ist. Diese Vorstellung hat schon andere Menschen beflügelt, und nicht wenige Erfinder machten auch technische Vorschläge, wie man das umsetzen könnte. Meistens scheiterten sie jedoch an den Klippen der Realität – auch wenn diese oftmals nur ‚Patentamt’ hießen.

„Wenn ein Problem zu schwierig ist, um gelöst zu werden, dann kann man nicht behaupten, es sei gelöst, indem man auf alle Anstrengungen verweist, die zu seiner Lösung unternommen wurden.“ (16)

Man kann aber ebenso wenig behaupten, daß ein Problem definitiv unlösbar sei, nur weil die bisherigen Anstrengungen noch nicht zu seiner Lösung geführt haben!

Das ‚Problem’ besteht in unserem Falle also darin, daß der angestrebte Hochtransport mittels eines Systems geschehen muß, das zu seiner Funktion natürliche und regenerative Primärenergien aus dem Umfeld nutzt (z.B. die Anergie), und das dadurch eine direkte Exergiezufuhr unsererseits nur zur Initialisierung bzw. für Kontroll- und Steuerfunktionen erforderlich macht. Dies entspräche dann vergleichsweise dem Kraftaufwand der Arme und Beine beim Lenken eines Lastwagens, während die Pumpmethode dem Versuch entspräche, den Lastwagen vor sich her zu schieben. In diesem Beispiel besitzt der Lastwagen das ‚Reservoir’ des Brennstofftanks, das ihm zu seiner Bewegung verhilft (was der menschliche Körper kaum alleine schaffen würde). Unser postuliertes neuartiges Wasserfördersystem würde auch aus einem (oder sogar mehreren) Reservoirs schöpfen – und diese müßten nicht einmal an der Tankstelle nachgefüllt werden...

Zustandsanalyse


Ich möchte vorausschicken, daß die Zustandsanalyse sowohl aus ökologischer Sicht, wie in Teil A (Die Biosphäre) dargestellt, als auch aus Sicht der Alternativenergie-Technologie in Teil C (Analyse der Exergie) erfolgt.

Betrachtet man nun die systematische Anwendung wissenschaftlicher Planungsmethoden auf konkrete Systemprobleme vom Standpunkt des Ingenieurs aus, so ist festzustellen, daß sich dessen Aufgabenbereich gegenüber früher stark erweitert hat. Die ursprüngliche Aufgabe eines Ingenieurs bestand primär darin, physikalische Naturgesetze zu verstehen und diese Kenntnisse auf die Lösung einzelner technischer Probleme anzuwenden. Heute erstreckt sich der Aufgabenbereich eines systemtechnisch orientierten Ingenieurs bei der Lösung von Systemproblemen vor allem darauf, die Gesamtheit der entscheidungsrelevanten Systemvariablen und -parameter auf geeignete Art und Weise in einem Modell zu erfassen, und deren Zusammenwirken im Hinblick auf ein multidimensionales, nicht nur technisch determiniertes Zielsystem zu optimieren.

Zur Lösung solcher Aufgabenstellungen werden oft intensive Kenntnisse in verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen benötigt, so daß oftmals eine interdisziplinäre Zusammenarbeit im Team erforderlich wird. (17)

Die Technik als das ureigene Hilfsmittel des Menschen in seiner Auseinandersetzung und Interaktion mit der Natur verkörpert ‚geronnene Geschichte’ – und der jeweilige Stand der Technik fixiert nicht mehr als eine Momentaufnahme im historischen Prozeß (18). Eine tatsächliche Evolution der Technik würde aus dieser Sicht die Auflösung jener ‚Gerinnsel’ bedeuten, und sie hätte auch auf den Ingenieur eine starke Rückwirkung:

„Für die Ingenieurswissenschaften war die erste Hälfte unseres Jahrhunderts die Blüte der Analyse von physikalischen Tatbeständen. (...) Im glei­chen Sinne könnte man die jetzige Zeit als Beginn der Blüte der Analyse und Synthese von Systemen bezeichnen.“ (19)

In bezug auf den Entwurf von Regelsystemen beispielsweise stellte H. H. Rosenbrock, ein englischer Teilnehmer des 6. IFAC­ Weltkongresses 1975 in Boston, bereits fest, daß das Ingenieurswesen inzwischen mehr eine Kunst als eine Wissenschaft ist, und daß es außer der mathematischen Analyse auch Experimente, Erfahrung, Beurteilungsvermögen und soziale Aspekte umfaßt. P. L. Fauvre, ein französischer Teilnehmer, forderte daraufhin eine bessere Ausbildung junger Ingenieure mit den Methoden der Systemtechnik, um modernen Forderungen zum Entwurf der Struktur und des globalen Verhaltens von Systemen gerecht zu werden. Der Ausbildung von Ingenieuren im Systemdenken, d.h. dem Denken in Strukturen, Zusammenhängen, Steuerungen und Regelkreisen des globalen Verhaltens vieler Komponenten, sowie auch im rechnergestützten Entwurf sollte dabei besondere Beachtung geschenkt werden. (20)

Eine Zustandsanalyse aus persönlicher Sicht zeigt jedoch, daß auch eine Ausbildung wie die hier genannte nicht unbedingt zu optimalen Resultaten ‚Bio-Logischer’ Techniken und Methoden führen muß – denn sonst hätte sie es schon längst getan. Es gibt inzwischen genügend und auch in ausreichendem Umfang ausgebildete Fachexperten, die ein derartiges Ziel hätten erreichen können. Auch als Zielvorstellung wurden diese Techniken und Methoden schon mehrfach formuliert. (21)

Das Haupthindernis und der Grund für den weiterhin unbefriedigenden Zustand liegt wohl in der mangelnden Bereitschaft, sich interdisziplinär mit fachgebietsfremden Systemen und Modellen auseinanderzusetzen, um auf diese (bisher leider kaum praktizierte) Art und Weise auch mittels unkonventioneller Informationselemente, Denkansätze und Modellvorstellungen zu einer effizienten Problemlösung zu gelangen.

Vielleicht liegt es aber auch nur daran, daß die einzelnen Problemelemente nicht in ihrem Zusammenhang gesehen werden – so wie es David Hilbert treffend formulierte:

„Wenn uns die Beantwortung eines mathematischen Problems nicht gelingen will, so liegt häufig der Grund darin, daß wir noch nicht den allgemeinen Gesichtspunkt erkannt haben, von dem aus das vorgelegte Problem nur als einzelnes Glied einer Kette verwandter Probleme erscheint.“ (22)


Damit wir an dieser Stelle trotzdem weiterkommen, werden wir uns nun ein wenig mit dem Konzeptentwurf beschäftigen. Ich bin überzeugt davon, daß wir im Verlauf dieser Arbeit eine Position erreichen werden, an dem die Verkettung sowohl der Probleme als auch der Lösungen klar erkannt werden kann.


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