erdeTEIL A

DER GROSSE KREIS


Alles ist durch das Wasser entstanden, alles wird durch das Wasser erhalten.

Johann Wolfgang von Goethe, Faust II


Das Wasser ist auf der Erde nur selten beständig. Früher oder später reiht es sich wieder in den allgemeinen Kreislauf ein, zu dem Verdunstung, Niederschlag und Abfluß gehören. Entweder geschieht das auf dem schnellen oberirdischen Weg – oder auf dem unterirdischen, der allerdings viel langwieriger ist.

Wasser ist jedoch nicht nur das nasse Element. Je nach den einwirkenden Faktoren von Temperatur und Druck kann es sich in unserer Umwelt in drei verschiedene Aggregatzustände verwandeln: Es kann fest (Eis), flüssig (Wasser) oder gasförmig (Dampf) auftreten. Dazu existieren noch einige besondere, physikalisch bedingte atmosphärische Nuancen, d.h. Übergangsstadien, die wir als Tau, Nebel, Reif oder Schnee bezeichnen.

Nicht vergessen dürfen wir, daß sich H2O keineswegs immer so verhält, wie es die Gesetze von Physik und Chemie erwarten lassen. Die Forscher listen etwa 40 Abweichungen auf, so genannte Anomalien, von denen viele noch immer unverstanden sind. Dies wurde schon 1929 von dem englischen Dichter D. H. Lawrence treffend beschrieben: „Wasser ist H2O, zwei Teile Wasserstoff, ein Teil Sauerstoff. Aber da ist noch ein Drittes, das erst macht es zu Wasser, und niemand weiß, was das ist.“

Die Sonne, die Erdwärme, der Wind und die Pflanzenwelt bewirken, daß Wasser in die Atmosphäre gelangt. Von dort kommt es durch Zusammenwirken bestimmter klimatischer Faktoren als Regen, Schnee, Graupel, Nebel, Tau oder Luftfeuchtigkeit wieder zur Erdoberfläche zurück.

Beginnen wir den Kreislauf also mit dem Aufstieg.


Atmosphärische Verdunstung


Wie schon gesagt: Am Prozeß der Verdunstung beteiligen sich die Sonne, die Erdwärme, der Wind und die Pflanzenwelt. Sie alle bewirken, daß Wasser in die Atmosphäre gelangt. Denn Wasser verdunstet, sobald seine Oberfläche der Luft ausgesetzt ist. Ebenso verdunstet auch Eis, allerdings erheblich langsamer.

Die atmosphärische Verdunstung besteht vorwiegend aus dem physiologischen Vorgang der Transpiration der Pflanzen. Dieser Vorgang wird seinerseits von rein biologischen Zustandsgrößen mitbestimmt. Niedrigere Luftfeuchten und höhere Windgeschwindigkeiten steigern zwar die Verdunstung von freien Wasserflächen, nicht aber die von Pflanzendecken. Wesentlich wichtiger ist hier die Strahlungsenergie der Sonne. (28)

Damit haben wir zwar die direkten Einflußgrößen gestreift – und noch kein Wort darüber verloren, daß der Prozeß der Verdunstung an sich schon einige ziemlich seltsame Züge aufweist. Immerhin haben wir es hier mit einer ‚Technologie’ der Natur zu tun, die in der Lage ist, täglich über 1.000 Milliarden Tonnen Wasser (!) über Tausende von Meter (!) anzuheben und irgendwo dort oben zwischenzuspeichern – und das alles ganz ohne Pumpen oder Maschinen, und nur durch den ‚Umsatz’ minimaler Temperaturunterschiede.

Wir werden diesem überraschenden physikalischen Geschehen wiederum in Teil D begegnen, wenn ich nach Erklärungsmodellen für synergetische Effekte suche, die sich möglicherweise auch technisch umsetzen lassen. Ich möchte deshalb darum bitten, schon von hier das folgende Bild mitzunehmen:

Die Meeresoberfläche des weiten Ozeans. Es ist Mittwoch Nachmittag, es ist sonnig und angenehm warm. Eine leichte Brise streicht über den endlosen Verbund an Wassertropfen.

Und siehe da: Ein eifriges kleines Wasser-Molekül speichert immer mehr Wärmeenergie, sei es aus der direkten Sonneneinstrahlung oder aus der aufsteigenden Hitze des Erdkerns.

Es sind zwar nur Bruchteile von Graden, mit denen das Molekül gegenüber seinen Nachbarn im Vorteil ist. Doch jetzt geschieht etwas Verblüffendes! In einem ganz bestimmten Moment gelingt es diesem eifrigen Molekül die Oberflächenspannung zu überwinden und aus dem Wasserverbund ‚auszusteigen’.

Welch unglaubliche Steigerung seiner Freiheitsgrade! Doch das reicht dem Molekül noch immer nicht, denn jetzt schickt es sich an, sich auch noch mit der Gravitation anzulegen. Zwar wird nun die brav angesparte Wärme zur Zahlung fällig, doch dafür darf das Molekül Hunderte über Hunderte von Metern weit hinauf steigen, um dann seelenruhig in einigen Kilometern Höhe eine mehr oder minder lange Weltreise anzutreten. Mit ausgesprochen tollem Ausblick.

Bewundernswert, nicht wahr?!


Dampfphase


Der Wasserdampf ist als nicht permanentes Gas in wechselnden Mengen (0 – 4 Volumen-%) überall in der Atmosphäre vorhanden. Er macht die Luftfeuchtigkeit aus. Nach neueren Berechnungen wird die Gesamtmenge des Wasserdampfes in der Atmosphäre mit 14.000 km3 angesetzt.

Der Umschlag des Wasserdampfes erfolgt sehr rasch. Im Durchschnitt wird der gesamte Wasserdampf in der Atmosphäre alle zehn Tage ersetzt (Flußwasser braucht hierfür 11 – 12 Tage, das Wasser der Seen ca. 10 Jahre, und das der Weltmeere ca. 3.000 Jahre). (29)

Während der Dampfphase ist das Wasser am reinsten. Verdampfung und Verdunstung sind bestimmte Stufen von natürlichen Destillationsprozessen, bei denen alle im Wasser gleichmäßig verteilten und gelösten (suspendierten) Fremdstoffe ausgeschieden werden. Das Destillat ist daher – zunächst – chemisch und biologisch völlig rein.

Hier zeigt sich auf eindrucksvolle Art und Weise ein weiteres Mal die Selbstreinigungskraft der Natur.


Primäre Kondensation


Aus der Dampfphase scheidet sich der Wasserdampf der Atmosphäre durch Abkühlung als Kondensat ab. Es bilden sich kleinste, schwebefähige Wassertröpfchen, die als Nebel oder Wolken für das Auge sichtbar werden. Auch Eiskristall-Wolken, die durch Sublimation oder Kristallisation entstehen, gehören zu dieser ersten Phase der Ausscheidung. Sie ist mit der Dampfphase reversibel verknüpft. Schon auf- und absteigende Luftströmungen können Wechselvorgänge verursachen.

In dieser Phase bildet das Wasser eine seiner ästhetischsten Formen aus, die Wolken. Mehr als alles andere versinnbildlichen sie die Verbindung des Wassers mit dem Himmel, auch wenn sich – wie wir inzwischen mit großer Sicherheit annehmen können – weder Engel noch Gottheiten auf ihnen tummeln.


Regenphase


Diese Phase tritt ein, wenn die feinen, schwebefähigen Tröpfchen zu Tropfen werden, indem sie sich aneinanderlagern (Koagulation), zusammenfließen und bald darauf auch nicht mehr schweben können – worauf sie dann wieder der Schwerkraft folgen müssen.

Obwohl sich das spezifische Gewicht des Wassermoleküls dabei nicht ändert, ist doch die Dichte des Verbundes für den Verlust der ‚Levitationsfähigkeit’ verantwortlich.

Nähern sich die Tropfen der Erdoberfläche, so wird diese Form als Regen bezeichnet. Durch starke Abkühlung können die koagulierten Wasserpartikel als Flocken- oder Kristallschnee, als Graupel oder Hagel zur Erde fallen.

Tritt dies ein,m so ist mit diesem Vorgang eine weitere Phase erreicht: die Eisphase, d.h. ein Niederschlag in kristallisierter Form.


Reinigungswirkung von Niederschlägen


Daß ein Regenschauer oder ein Schneefall die verschmutzte Luft wie ein kräftiger Besen reinigen kann, hat wohl schon jeder selbst einmal erlebt. War vor dem Niederschlag die Luft noch stickig und stinkend, so wirkt sie hinterher frisch und rein. Dafür gibt es eine einfache Erklärung.

Regen und Nebel, Schnee und Graupel besitzen eine hohe Lösungsfähigkeit für Gase sowie für mineralische und organische Verbindungen. Daher werden in luftverschmutzten Gegenden viele Gase und Staub auf der aktiven Oberfläche der Wasserteilchen angelagert und durch sie entfernt. Aber wohin? Zuerst einmal gelangen sie ins Wasser oder auf den Boden.

Das Wasser bildet hydrologische Konzentrationen in und auf der Erdkruste. Es verteilt sich bis hin ins öffentliche Wasserversorgungsnetz (Speicherung und Nutzung der Reinigungskraft = Abwassersystem). Weitere Etappen sind die Konzentration in Organismen pflanzlicher, tierischer und menschlicher Art. Doch dies sind alles nur Zwischenetappen auf dem Weg zurück in die große, den globus umspannende Gemeinschaft der Wassermoleküle. Und dort, im Meer, beginnt der Kreislauf von neuem: So steigt bei der Verdunstung nur relativ reines, destilliertes Wasser auf, das dann – je nach Örtlichkeit mehr oder minder von der Luft verschmutzt – wieder herunterkommt... und so weiter und so fort.

Sich aber auf effektive Umweltschutzhilfe durch Niederschläge zu verlassen, wäre illusorisch, denn das Selbstreinigungsvermögen der Natur ist vor allem in den Ballungsgebieten unserer Erde längst in hohem Maße überfordert. Und mit jedem Tag wird es weiter belastet. (30)

Die normale Wasserfunktion wird durch Konzentrationen von Metallen wie Blei, Quecksilber, Cadmium usw., durch Stickstoffe und Phosphor, sowie durch Öle, Chemikalien und andere Stoffe schwer bis schwerst geschädigt.

Durch die steigende Kohlendioxid-Konzentration, deren Ursache hauptsächlich die Verbrennung von Kohle und flüssigen Brennstoffen ist, sowie die Schwefel- und Stickstoffe, die dabei auch heute noch häufig ungefiltert in die Atmosphäre gelangen, steigt der Säuregehalt des Regens zum Teil 100 bis 1000fach. Und durch das verantwortungslose Handeln einiger Industriestaaten, radioaktive Abfälle im Meer zu versenken, werden nicht nur jetzt lebende Wesen und Organismen gefährdet, sondern auch das Leben zukünftiger Generationen, durch die Weitergabe geschädigter Gene.

Doch allzu panisch sollte man trotzdem nicht reagieren, denn das Waschmittel der Lufthülle ist äußerst aktiv – und ausgehen wird es auch nicht so schnell. Dabei handelt es sich um ein Molekül mit dem chemischen Namen OH, das für den Abbau der meisten Luftschadstoffe sorgt und dabei selbst umgewandelt wird. Durch die OH-Radikale reagieren Schadstoffe in der Luft so, daß der Regen sie auswaschen kann. Da OH ausgesprochen reaktionsfreudig ist, hat es jedoch nur eine Lebensdauer von etwa einer Sekunde, und muß deshalb ständig neu produziert werden. Doch solange die Sonne UV-Strahlen zwischen 305 und 330 Nanometern Wellenlänge schickt, bilden sich immer wieder neue Hydroxyl-Radikale in der Luft.

Als Franz Rohrer vom Forschungszentrum Jülich und Harald Berresheim vom Deutschen Wetterdienst (DWD) über fünf Jahre lang von 1999 bis 2003 die Konzentration des Hydroxyl-Radikals in der Luft der untersten Atmosphärenschicht über dem Hohen Peißenberg messen, wo ein meteorologisches Observatorium seit 1781 das Wetter beobachtet, stellen sie fest, daß das Auf und Ab der Waschmittelmenge nichts mit der Schadstoffkonzentration zu tun hat, sondern nur mit der Sonneneinstrahlung zusammenhängt. Auch langfristig ist die Hydroxyl-Konzentration den Messungen zufolge nicht gesunken. Die Angst, daß mit zunehmendem Ausstoß von Schadstoffen wie Methan oder Kohlenmonoxid auch der Waschmittelverbrauch in der Luft steigt, und in Folge dessen die OH-Konzentration abnimmt, ist daher unbegründet – auch wenn die Wissenschaftler zugeben müssen, daß sie die komplexen Vorgänge hinter dem Geschehen noch lange nicht entschlüsselt haben.

Interessanterweise berichtet Mitte 2009 ein internationales Forscherteam unter Leitung Jülicher Wissenschaftler um Franz Rohrer nach Untersuchungen in Südchina, daß es eine Art Turbowaschgang der Atmosphäre entdeckt habe, demzufolge ein bislang nicht entschlüsselter Mechanismus die Selbstreinigungskräfte der Atmosphäre um das Drei- bis Fünffache verstärkt. Das Team stellt fest, daß der atmosphärische Schadstoffabbau von etwa 10 Uhr morgens an in eine Art Turbogang mit deutlich höherer Konzentration von Hydroxyl-Radikalen schaltet, wodurch sich auch die Abbaugeschwindigkeit der Schmutzsubstanzen erhöht.

Beim normalen Waschgang werden die Hydroxyl-Radikale mit Stickstoffmonoxid (NO) recycelt und stehen anschließend für weitere Waschgänge zur Verfügung. Besonders überraschend ist für die Wissenschaftler, daß bei der neu beobachteten Turbo-Reinigung weniger Ozon entsteht als erwartet. Nun soll der Mechanismus mit Experimenten in der Atmosphären-Simulationskammer entschlüsselt werden.

Trotz alle dem muß aber konstatiert werden: In einer Zeit, in welcher der Mangel an brauchbarem Wasser stetig spürbarer wird, vor allem wegen der Gewässerverschmutzung durch Industrieabflüsse und durch die zunehmende Versteppung halbtrockener Landstriche, wächst der Bedarf ungleich stärker.

Während die Erdbevölkerung im Jahr 1900 etwa 500 km3 Wasser verbraucht hat, stieg dieser Betrag bis 1980 auf über 2.000 km3, und erreichte im Jahr 2000 etwa 2.700 km3 (man hatte 1980 allerdings geschätzt, daß der Bedarf bis 1990 ca. 5.500 km3 betragen wird!). Deutschland gehört mit etwa 300 Mrd. m3 Niederschlag zu den wasserreichsten Regionen der Welt. Von dieser Niederschlagsmenge verdunstet rund 60 %, während 40 % als Oberflächenwasser abfließen oder die Grundwasservorräte bereichern. Doch in sehr vielen anderen Ländern dieser Erde sieht das Bild ganz anders aus: Schätzungen von 2006 zufolge sind etwa 450 Millionen Menschen in 29 Ländern von chronischem Wassermangel betroffen.

Diese Zahlen belegen die Notwendigkeit für einen verstärkten überregionalen Wasserausgleich zwischen Gebieten mit Wasserüberschuß und Gebieten mit Wassermangel, ähnlich einem Stromverbundnetz, damit es in Ballungsgebieten zukünftig nicht zu Wassernöten kommt. Denn die (nicht-)Alternative wird schon oft genug an die Wand gemalt: daß die nächsten Kriege nicht um Öl, sondern um Wasser geführt werden. Um so wichtiger wird das in Teil D vorgestellte Synergetische Modell, da es neben der Energie- auch die Vorsorgung mit Süßwasser übernehmen kann.

Doch hier wollen wir zuerst noch ein kurzer Blick auf die Wassernutzung werfen – insbesondere in der Landwirtschaft und bei der Energieerzeugung.


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