allTEIL C

Solarhäuser und solare Bauelemente

Schwerpunkt Solarfassaden (2)


Eine dynamisch geschwungene Solarfassade, die sowohl umweltfreundlich als auch optisch auffällig ist, entwirft das Büro Adrian Smith + Gordon Gill Architecture (AS+GG) für den neuen Hauptsitz der Federation of Korean Industries (FKI) in Seoul, Südkorea, der sich ab 2010 im Bau befindet.

Das etwa 245 m hohe Gebäude, das bis Mitte 2013 fertig werden soll, besticht durch seine simple, aber dennoch wirkungsvolle Integration von PV-Paneelen. Sergio De Gaetano aus dem ebenfalls involvierten Ingenieurbüro Thornton Tomasetti hatte detaillierte Studien durchgeführt, um die äußere Form, die Rippengeometrie der Struktur und die Paneele der Verglasung so zu konfigurieren, daß der Einsatz eines kalt gebogenen IGU-Systems möglich war, was zu erheblichen Kosteneinsparungen führte.


FKI Tower
(Detail)

Durch die zieharmonikaförmige Anordnung haben die in die Brüstungsbereiche der Südwest- und Nordwestfassaden integrierten, rückseitig belüfteten Paneele einen verbesserten Anstellwinkel von 30° nach oben zur Sonne hin, während die Liw-E-Glasscheiben durch ihre umgekehrte Neigung von 15° nach unten das Sonnenlicht zum Boden hin reflektieren, wodurch die direkte Sonneneinstrahlung und Blendung minimiert wird.

Das Hochhaus, das damit über eine der weltweit effizientesten Solarfassaden verfügt, besitzt zudem eine selbstregulierende Außenhaut, die nicht nur Energie sammelt, sondern auch die internen Heiz- und Kühllasten reduziert. Es wird berechnet, daß das Hochhaus einen etwa siebenfachen Stromüberschuß erwirtschaftet, wofür sich bislang aber noch keine Belege finden lassen.

Tatsächlich können der 50-stöckige, hochgradig nachhaltige FKI Tower mit seiner Gesamtnutzfläche von gut 176.000 m2 und mehreren Innengärten sowie das benachbarte ovale, vierstöckige und 6.000 m2 große Konferenzzentrum, das einen Bankettsaal, ein zentrales Restaurant und Konferenzräume in verschiedenen Größen beinhaltet, im Dezember 2013 eröffnet werden.


Im Rahmen der seit dem Jahr 2000 laufenden Erneuerung des Stadtteils Poblenou in der spanischen Metropole Barcelona schließt das Architekturbüro Cloud9 von Enric Ruiz Geli in diesem Jahr den Bau des Media TIC genannten, ersten Bauwerks des Großprojekts 22@Barcelona (o. Districte de la innovació) ab, bei dem rund 200 Hektar Industriegebiet durch Mischnutzungen, Neubauten und Grünbereiche umgestaltet werden.

Das fast kubische Gebäude mit den Maßen 38 x 44 x 44 m befindet sich in einem Gebiet für ‚wissensgestützte Aktivitäten‘, wo Cluster entstehen, die jeweils einem Wissensbereich wie beispielsweise den medizinischen Technologien, dem Design  oder der Energie zugeordnet sind. Es verbindet die Medienwelt mit den Informations- und Kommunikationstechnologien, erstreckt sich über acht Stockwerke und verfügt über eine Nutzfläche von insgesamt 23.104 m2, von denen etwa 5.000 m2 von der Universität Catalonia als Institut und Lernzentrum genutzt werden.

Besonders interessant sind die intelligenten pneumatischen Süd-Ost- und Süd-West-Fassaden, die mit 2.500 m2 ETFE-Material (Ethylen-Tetrafluorethylen) bespannt sind, welche die Sonneneinstrahlung und Temperatur der Struktur regeln. Die mosaikartig angelegten konkaven und konvexen aufblasbaren Dreiecke aus Texlon ETFE wirken entweder grün transluzent oder transparent.

Sie sind ein Produkt der 1981 gegründeten deutschen Firma Vector Foiltec aus Bremen, die neben unzähligen anderen Projekten sowohl die Hüllen für das Projekt Eden sowie den Floating Pavilion in Rotterdam (s.u. Dome), als auch für das National Aquatics Centre in Peking (s. 2008) geliefert hat, um nur einige der in dieser Übersicht aufgeführten Bauwerke zu nennen.

Media-TIC Detail

Media-TIC
(Detail)

Die in Stahlrahmen befestigten ETFE-Kissen des Media TIC bestehen aus drei Kunststoffschichten, deren Zwischenräume mit Luft gefüllt sind. Sie bilden die Wärmedämmung des Gebäudes und verfügen außerdem über ein integriertes Beschattungssystem: Durch die pneumatische Verlagerung der Mittelfolie zur äußeren oder inneren Folie läßt sich der UV-Durchlaß steuern. Die Steuerung erfolgt automatisch über einen solarbetriebenen digitalen Lichtsensor.

Die individuell klimageregelten ETFE-Kissen an der Ostseite sind im Durchschnitt sechs Stunden täglich der Sonnenstrahlung ausgesetzt. Dabei läßt sich durch das Texlon Vario-System von Vector Foiltec der Wärmeeintrag bei jeder Wetterlage optimieren: Im Winter wird die Fassade geöffnet, um den solaren Energiegewinn zu erhöhen, während sie im Sommer bleibt geschlossen, um die Hitze zu reflektieren.

Die Süd-West-Fassade ist hingegen vollständige mit ETFE bespannt. Die dort verwendeten Kissen bestehen aus zwei mit Stickstoff gefüllten Schichten fungieren als Solarfilter, indem der Nebel-Effekt, der durch die dichten, undurchsichtigen Gaspartikel entsteht, die Sonneneinstrahlung stark reduziert. Das Gründach des Gebäudes sammelt Regenwasser, das wiederverwertet wird, zudem werden darauf Photovoltaik-Module installiert.

Auf dem World Architecture Festival 2011 wird das Media TIC zum ,World Building of the Year’ gekürt.


An der University of California - Berkeley (UC Berkeley) arbeiten die Architektin Maria Paz Gutierrez, der Bio-Ingenieur Luke P. Lee und der Bau- und Umweltingenieur Slawomir Hermanowicz an der Entwicklung einer fortschrittlichen ‚Haut’ für Gebäude, welche durch die physikalischen Eigenschaften ihrer verwendeten Materialien Temperatur und Feuchtigkeit regulieren kann – und dadurch den Bedarf an Elektrizität drastisch reduzieren soll.

Gutierrez hatte 2008 an der UC Berkeley die BIOMSgroup (Bio Input Onto Material Systems) gegründet, die seitdem für die Architektur eine neue Gebäudetechnik für das Wasserrecycling und den Wärmeschutz auf Grundlage mikrotechnischer Prinzipien entwickelt. Das Projekt Detox Towers beispielsweise untersucht ein neues Phytosanierungssystem zur Entgiftung der Raumluft und zur Feuchtigkeitskontrolle durch den aktiven Einsatz von Algen und Flechten (s.u.).

Das Projekt mit dem Namen Self-Activated Building Envelope Regulation System (SABERS) untersucht wiederum eine neue selbstregulierende Membran für die hydrothermale und lichtdurchlässige Steuerung, die für den Einsatz in tropischen Regionen konzipiert ist. Diese würde regeln, wie viel Licht und Wärme in das Gebäude dringen, und wie viel Feuchtigkeit durch die Membran entweicht. Die auf der Mikro- und Nanoebene strukturierte Dünnschicht-Membran soll wie die menschliche Haut arbeiten, ohne den Einsatz von Strom oder mechanischer Elemente.

SABERS-Haut Modell

SABERS-Haut
(Modell)

Inspiriert von den Facettenaugen der Insekten setzt sich das selbstkühlende SABERS-Material aus abwechselnden Reihen lichtempfindlicher Zellen zusammen, die aus Mikro-Linsen bzw. Taschen mit einem lichtempfindlichen Hydrogel bestehen, welche durch Licht von außen oder Feuchtigkeit von innen aktiviert werden.

Das Gel schrumpft im Licht zusammen und öffnet dadurch winzige Röhrchen, durch welche wiederum mehr Luft und Licht in das Gebäude gelangen, während die Regelung der Luftfeuchtigkeit durch ein Polymer erfolgt, das mit erhöhter Feuchtigkeit expandiert und ebenfalls Öffnungen erweitert, um den Luftstrom zu erhöhen. Außerdem wird ein Übermaß an Feuchtigkeit in der Luft von einer Schicht Trockenmittel auf der Innenseite aufgenommen.

Die vorgestellte Prototyp-Linse reagiert bereits auf Veränderungen der Gebäude-Atmosphäre durch das Auslösen mikroskopischer Öffnungen in der Membran. Nun soll mit Unternehmen zusammengearbeitet werden, um die Technologie zur Marktreife zu bringen.

Im August 2010 erhält das Team von der National Science Foundation (NSF) eine EFRI-SEED-Förderung in Höhe von 2 Mio. $ für ein 4-Jahres-Projekt namens ‚Solar Optics-based Active Pasteurization (SOAP) for Greywater Reuse and Integrated Thermal (GRIT) Building Control‘, bei dem es um die Entwicklung nachhaltiger Gebäudetechnologien der nächsten Generation sowie um Innovationen in den Bereichen Mikrooptik und Fluidnetze geht.

Das SOAP/GRIT Building Control System wird die erste mit Wärmespeicherung und Energiemanagement verbundene Gebäudewand zur Grauwasserdesinfektion mittels Sonnenenergie sein. Die Forscher wollen dabei neue Technologien der Licht- und Wärmeflußübertragung bzw. -leitung auf Grundlage der Mikrooptik etablieren, die die dickeren, schwereren und oft kostspieligen mechanischen Linsensysteme ersetzen sollen. Sie gehen davon aus, daß der erfolgreiche Abschluß dieser Forschung eine Reihe von Studien über energieeffiziente integrierte Gebäudesysteme im ganzen Land anregen wird.

Bei der 2011 Skyscraper Competition gehört das Projekt Detox Towers der BIOMSgroup zu den Finalisten, da es Pionierarbeit bei der Entwicklung nachhaltiger Gebäudesysteme der nächsten Generation leistet und neue Methoden zur Steuerung des Energieaustausches und der Speicherung und Verarbeitung von Materie durch mikroskalige Betätigung vorschlägt. Die Einbeziehung von lebender Materie kann dabei unvorhergesehene Möglichkeiten einer nachhaltigen Architektureffizienz eröffnen.

Im Juli 2013 veröffentlicht das Team im US-Magazin Science einen Artikel unter dem Titel ‚Multiscale Design and Integration of Sustainable Building Functions‘, in dem das Multiskalen-Design von der Makro- bis zur Nanoskala dargestellt wird. Auf der Grafik des SOAP-Dezentralisierungssystems (A) sind die Grauwassersammlung, die solaraktivierte Desinfektion (Fassade) und die Rezirkulation (Fußbodenheizung) zu sehen.

Die einzelnen SOAP-Fassadenpaneele (B) enthalten ein photokatalytisches optofluidisches Netzwerk, das durch mehrere Schichten integrierter photokatalytischer Reaktoren erzeugt wird. Hier werden die pathogenen Mikroorganismen über photokatalytische TiO2-Nanopartikel abgetötet, während die größeren Trägerpartikel als Mikrolinsen dienen, um die Sonnenenergie zu bündeln und einen effizienten photokatalytischen Effekt zu erzeugen.

SABER erscheint zwar noch einmal im September 2014 in der Presse im Zusammenhang mit dem Ansatz des BIOMS-Teams, daraus eine extrem kostengünstige technologische Alternative für den Einsatz in Entwicklungsländern zu machen. Demnach hätten die Forscher einen Prototypen, der in einen üblichen Baustoff eingebettet ist, bereits erfolgreich getestet. Weitere Details gibt es allerdings nicht.

Solare Desinfektion

Solare Desinfektion

Erst im Februar  2017 ist wieder etwas von dem Team um Gutierrez zu hören, wobei es ein weiteres mal um das solare Grauwasser-Recycling geht, das als zusätzliches Plus auch für die Solarthermie genutzt werden kann.

Inzwischen wird die photokatalytische Desinfektion allerdings mittels Solarmodulen mit abgerundete Glasoberflächen durchgeführt, die im Inneren mit Goldnanopartikeln beschichtet sind, die chemisch mit dem UV-Licht der Sonne reagieren. Der Reaktionsprozeß erzeugt Moleküle, die Mikroben abtöten, was das Wasser für die Wiederverwendung sicher macht, und das erwärmte Wasser kann über Fußbodenheizungen zur Gebäudeerwärmung genutzt werden.

Zwar wurden schon Prototypen gebaut, um zu bestimmen, wie der Aufbau am besten zu konfigurieren ist, doch die Aussage des Teams, daß es hofft, daß diese Technologie „innerhalb des nächsten Jahrzehnts für die kommerzielle Produktion bereit sein wird“, läßt leider kaum auf eine schnelle Umsetzung schließen.


Auch neue Designs werden in diesem Jahr publiziert. Im Juli 2010 wird beispielsweise über den Architekturstudenten Ilyas Mehmet Ekizoglu an der Kunstakademie Stuttgart berichtet, der sich von einem schwarzen Wüstenkäfer aus der Namibwüste inspirieren läßt und das Design einer ‚Bio-Fassade’ entwickelt, einer Jalousie aus stabförmigen Lamellen, an deren Spitzen Solarzellen eingebaut sind. Neben anderen Arbeiten wird die Idee in der Kunstakademie am Weißenhof ausgestellt.

Die einzelnen Lamellen sind so beweglich wie menschliche Muskeln, folgen im Verlauf des Tages der Sonne und spenden außerdem noch Schatten. Zudem besitzen die elastischen Lamellen eine rauhe Oberfläche, an der sich Luftfeuchtigkeit niederschlägt.

Dies macht der Käfer vor, indem er mit seinen langen Beinen auf einem Dünenkamm balanciert, sein Hinterteil gen Himmel reckt und auf die Nebelschwaden wartet, die vom Atlantik aus in die Namibwüste ziehen. Die feinen Tröpfchen verfangen sich in winzigen Furchen auf seinem Rücken und vereinigen sich zu immer größeren Wassertropfen, die schließlich in sein Mundöffnung hinabrinnen.

Auf ähnliche Art sollen die Lamellen – neben der Stromproduktion – das gesammelte Wasser ins Gebäude leiten, um dieses im Sommer zu kühlen. In Ekizoglus Computermodellen überziehen Tausende dieser stabförmigen Lamellen das Hotel am SI-Centrum in Möhringen, das er als Beispiel ausgesucht hat – und das kaum mehr als solches zu erkennen ist. Mit seinen vom Gebäude abstehenden Lamellen ähnelt es eher einem Techno-Kaktus.

Eine weitere intelligente Fassade, die auf die Umwelt reagiert, stammt von Boris Rüther – ebenfalls Student bei Prof. Tobias Wallisser – der das Vorbild dafür im Meer und in der Arktis gefunden hat. So wie Korallen, die sich von mikroskopisch kleinen Organismen ernähren, in die Richtung ihrer Nahrung wachsen, so wölben sich Teile seiner Fassaden bauchig dem Straßenraum entgegen – bedeckt von einer Oberfläche mit einer haarförmigen Struktur, die wie ein Weizenfeld im Wind wogt.

Die Gebäudehülle Rüthers, der vom Plankton auf den in Stuttgart überaus belastenden Feinstaub kam, soll sich „vom Dreck ernähren“, wodurch zu erwarten ist, daß sich die Fassade dorthin am stärksten ausbeult, wo die Verschmutzung besonders stark ist. Dabei entgiftet das Haus seine Umwelt: Der Staub dringt in die Fassade ein, wird gefiltert und durch Wasser ausgewaschen. Zudem wären die Häuser wohltemperiert, da die Haarstruktur der Fassade die Luft einschließt, sie erwärmt und das Haus im Winter isoliert.

Bislang ist es bei diesen studentischen Ansätzen geblieben, obwohl einige andere, ähnliche Ideen tatsächlich umgesetzt werden, wie wir weiter unten noch sehen werden.

Solar Grid Design Grafik

Solar Grid Design
(Grafik)


Ein interessantes PV-Fassaden-Design namens Solar Grid, das sich leider nicht näher zuordnen ließ, ist ein vermutlich ein aus Österreich stammender Beitrag zum diesjährigen James Dyson Award.

Zwei verschieden geformte, mit Solarfolie beschichtete ‚Blätter’ werden in ein Netzwerk aus Basaltfasern mit integriertem Stromkabelsystem geklickt, das eine individuelle Flächen- und Fassadengestaltung erlaubt. Das Netz sammelt die von den Solarblättern abgegebene Energie und leitet sie weiter, um ins Stromnetz eingespeist zu werden.

In Kombination mit Leuchtelementen kann das Solar Grid auch als selbstversorgendes Werbebanner oder Fassadenbeleuchtung genutzt werden.


Technisch weniger anspruchsvoll, im Gesamteindruck aber wesentlich wirkungsvoller, ist der 2010 vorgestellte Solarfassaden-Entwurf namens piksol des schweizerischen Designbüros Drzach & Suchy aus Basel – bei dem einzelne Solarzellen als ‚Pixel’ genutzt werden (daher auch der Name), um aus ihnen und ihrem Schattenwurf an Gebäudefassaden großflächige Grafiken oder Mosaiken entstehen zu lassen, die sich während des Sonnenlaufes langsam und stetig verändern.

Bislang gibt es allerdings noch kein vollwertiges Modell, nur kleine Prototypen des Systems. Das Designerduo scheint das Projekt aber nicht weiterverfolgt zu haben, denn in den Folgejahren wird nur noch darüber berichtet, daß es eine neuartige Methode entwickelt habe, um mit Hilfe des 3D-Drucks schattenwerfende Paneele für eine Reihe von Kunstwerken zu erstellen. Entsprechende Beispiele ihrer Shadow Casting Panels (SCPs) werden im Mai 2015 in den Blogs gezeigt, haben aber nichts mehr mit Fassaden oder der Solarenergie zu tun.


Bereits umgesetzt worden ist hingegen eine großflächige, gepixelte Fassade, die auf Solarenergie reagiert, am Schweizer Pavillon auf der EXPO 2010 in Shanghai. Die interaktive, intelligente Fassade, ein Vorhang aus Aluminiumgeflecht, unter dem die Besucher hindurch laufen, um den Pavillons zu betreten, zeigt in einer spielerischen Umsetzung, wieviel Energie uns überall ungenutzt umgibt.

Schweizer Pavillon auf der EXPO 2010

Schweizer Pavillon
auf der EXPO 2010

Die Ausstellung innerhalb des Pavillons wie auch die Zellen der Fassade werden von der Schweizer Designagentur iart ag aus Basel zusammen mit der ebenfalls in Basel beheimateten Arbeitsgemeinschaft Buchner Bründler Architekten konzipiert, geplant und umgesetzt, die 2006 aus dem vom Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten im Hinblick auf die Expo lancierten, zweistufigen Projektwettbewerb als Sieger hervorging.

Die 17 m hohe Fassade des Pavillons besteht aus einem grobmaschigen, 3.800 m2 großen Drahtseilnetz, welches wie ein riesiger Vorhang wirkt. An dem Gitternetz sind 10.000 runde Fassadenelemente aus rotem Polycarbonat mit einem Durchmesser jeweils von 20 cm angebracht, die mit einer Solarzelle als Energieerzeuger, zwei Doppelschichtkondensatoren als Speicher, einer LED als Verbraucher, sowie Sensoren, die auf Licht und auf benachbarte Zellen reagieren, bestückt sind.

Die gewonnene Solarenergie wird in Form weißer Lichtblitze sichtbar gemacht, welche durch Umwelteinflüsse wie Sonne und Wind, durch die Fotoblitzlichter der Besucher oder auch durch die sich gegenseitig anblitzenden Fassadenelemente selbst ausgelöst werden. Da jedes Element autonom funktioniert, unterliegt das System einer gewissen Unberechenbarkeit, welche in einer zufälligen und wild blitzenden Fassade zum Ausdruck kommt. Und mit Hilfe der Energiespeicher der Einzelelemente zeigt die Fassade auch nach Einbruch der Dunkelheit noch für einige Zeit eine gewisse Aktivität.

Besonders innovativ: Die Bauteile und Leiterbahnen der Schaltung bilden zusammen eine formale Karte der Schweiz – und die Fassadenelemente können nach Beendigung der EXPO als Erinnerungsstücke käuflich erworben werden. Für die Fassade des Pavillons wird die iart mit einem red dot design award: communication design 2010 sowie einem iF communication design gold award 2010 ausgezeichnet.

Ein weiteres interessantes Element des Pavillons ist ein mit 4.000 Pflanzenboxen vertikal begrünter Doppelhelix-Zylinder, welchen die Besucher auf ihrem Weg auf das Dach mit einer Sesselbahn spiralförmig nach oben durchfahren. Der Pavillon selbst wird gemäß den Vorschriften nach Ende der EXPO abgebrochen, während die Rechte zur Rekonstruktion an die Zhejiang Zhongyeh Holding verkauft werden, die ihn in den nächsten Jahren in der Provinz Zhejiang in Hangzhou wieder errichten und als Plattform für Konferenzen und Seminare sowie als Ausstellungsort zu Themen der nachhaltigen Entwicklung nutzen will.


Überhaupt scheint dem Thema Fassade auf der EXPO 2010 große Aufmerksamkeit geschenkt zu werden, denn auch andere Pavillons konzentrieren sich betont darauf. Monaco beispielsweise umhüllt seinen Ausstellungsbau mit LEDs, die durch Solarzellen mit Strom versorgt wellenförmig aufleuchten. Inspiriert durch die Gewässer des Mittelmeers soll der Pavillon wie ein Fels wirken, der von dem tanzenden Licht eines Meeres umgeben ist.

Der Pavillon Japans wiederum – in einem gräßlichen Rosa gehalten – ist eine Leichbaustruktur aus Metallrohren, die komplett mit einer Membrane umhüllt ist, in welcher Streifen aus Solarzellen mit einer Gesamtkapazität von 30 kW integriert sind.


Die spektakulärste Fassade ist allerdings die des 42 Mio. $ teuren Britischen Pavillons, der damit wie ein mutierter und anschließend beim Friseur streng getrimmter Seeigel aussieht.

Das 20 m hohe Konstrukt mit dem umgangssprachlichen Namen Seed Cathedral ist unter der Leitung des Designers Thomas Heatherwick und seinem Heatherwick Studio in Zusammenarbeit mit der Millennium Seed Bank (MSB) konzipiert und erbaut worden, einem internationalen Naturschutzprojekt, das von den Royal Botanic Gardens im britischen Kew koordiniert wird und dessen Mission es ist, bis 2020 die Samen von 25 % der weltweiten Pflanzenarten zu sammeln bzw. zu retten.

Der Beschreibung zufolge ist die Fassade mit 60.000 Acrylfaser-Stäben von je 7,5 m Länge gespickt, deren Spitzen mit insgesamt 250.000 Pflanzensamen aus der ganzen Welt gefüllt sind. Die aus den Wänden des Gebäudes herausragenden Stäbe dienen als Lichtleiter, die im Laufe des Tages Licht in die Struktur hinein ziehen, während nachts Lampen aus dem Inneren ein sanftes Leuchten durch die Stäbe nach außen schicken.

Homeostatic Facade System Grafik

Homeostatic Facade System
(Grafik)


Im Jahr 2011 treffen wir als erstes im Januar auf eine besonders interessante Fassadenform, da sich diese selbständig öffnet und schließt. Das Homeostatic Facade System (HFS) der architektonischen Materialtechnologen Decker Yeadon LLC aus New York basiert auf intelligenten Materialien, die das Klima eines Gebäudes regulieren, indem sie automatisch auf Umweltbedingungen reagieren, ohne daß Menschen oder energieintensive Maschinen benötigt werden.

Um so einfacher ist die Funktion: Die silbernen Schnörkel sind Platten aus einem dielektrischen Elastomer, die über einen flexiblen Polymerkern gewickelt sind. Eine Silberbeschichtung auf dem Elastomer verteilt eine elektrische Ladung über seine Oberfläche, wodurch sich diese verformt. Fallen übermäßige Mengen an Sonnenlicht auf das Gebäude, dehnt es sich aus und schafft Schatten im Inneren des Gebäudes. Ist dann kein helles Licht mehr vorhanden, kommt es zu einer Kontraktion, so daß wieder mehr Licht in das Innere des Gebäudes eindringen kann.

Martina Decker und Peter Yeadon sind uns übrigens schon einmal begegnet. Für die Land Art Generator Initiative (LAGI) in den VAE reichen sie 2010 das Projekt Light Sanctuary ein, ein langes und mehrfach verwundenes Band aus halbtransparenten Dünnschicht-Farbstoff-Solarzellen, welche die immense Solareinstrahlung in Dubai nutzen sollen (s.u. Entwicklung der photovoltaischen Nutzung 2010).

Würde ein Designkonzept wie das - auch Smart Screen and Homeostatic Facade genannte - System kommerzialisiert werden, könnte es die Wohnqualität von Innenräumen verbessern und gleichzeitig den Einsatz von energiefressenden künstlichen Klimaanlagen radikal reduzieren. In Kombination mit automatisierten Innenbeleuchtungssystemen, die ihr Beleuchtungsniveau im Verhältnis zur verfügbaren Tageslichtmenge senken bzw. erhöhen, könnte dies den Energiebedarf der Büroräume drastisch senken.

Bislang existiert nur ein kleiner Funktions-Prototyp des von der Homöostase in biologischen Organismen inspirierten Systems. Diesen hatten Decker und Yeadon bereits im Vorjahr auf Grundlage eines künstlichen Muskels entwickelt, der aus einer Buckypapier genannten dünnen Schicht von Kohlenstoff-Nanoröhrchen besteht, die beim Eintauchen in eine Natriumchloridlösung Strom leiten und sich biegen kann. Anderen Quellen zufolge basiert das Modell auf einer Formgedächtnislegierung.

Die vielversprechende Entwicklung mit ihrer scheinbar lebendigen Oberfläche muß allerdings erst in einer Attrappenarchitektur getestet werden, bevor an eine Kommerzialisierung gedacht werden kann. Zwar erscheint das Konzept im Laufe der Folgejahre immer mal wieder in den Blogs, und im Januar 2013 veröffentlicht Decker einen Artikel mit dem Titel ‚Emergent Futures: Nanotechology and Emergent Materials in Architecture‘, doch signifikante Neuigkeiten oder tatsächliche Umsetzungsschritte gibt es keine.

 

Weiter mit den Solarfassaden ...